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Das flüssige Ohr

Das Flüssige Ohr 1996/97       

Den Higashikawa-Foto-Fiesta-Preis bekam Gundula Schulze Eldowy 1996. Den Preis gewann sie mit der Serie „Der große und der kleine Schritt“, 1984-90. Mit dem Preisgeld fuhr sie  anschließend drei Monate durch ganz Japan – von Nord nach Süd. Dabei entstand die Serie mit den Seifenblasen „Das flüssige Ohr“. 

Schatten von Gundula Schulze Eldowy und Yasu Suzuka, Kyoto 1996

Yasu und ich im Zen Garten 1996

Als ich den Kunstprofessor und Photographen Yasu Suzuka sonnabends an der Kyotoer Universität abholen wollte, war er noch mit Studenten beschäftigt. Er wirkte nervös. Schließlich drohte nach zwei Stunden vergeblichen Wartens die Situation zu kippen. Unverblümt zeigte er seine schlechte Laune. Ich ließ nicht locker und wartete. Zwei Tage zuvor hatte ich in den Bergen Kyotos einige buddhistische Tempel besucht. Einer davon besaß einen der berühmtesten Steingärten. Die Zen Priester scharrten um sehr alte Steine mit dem Rechen Kreise, die wie Galaxien anmuten. Bei meiner Ankunft waren sie von Regen und Wind ausgelöscht. Am Rande gab es einige Teiche mit Seerosen. Die Energie des Gartens und des Tempels war bezaubernd. Ich verbrachte den ganzen Tag dort, um etwas stümperhaft die Kreise um die Steine mit der Hand nachzuziehen. Bei mir sahen sie krumm und schief aus. Dem Priester des Tempels hatte ich damit das Herz gerührt. Er sprach kein Englisch und ich nur ein paar Brocken Japanisch. Er lud mich in den Tempel ein und zeigte mir Fotos vom Steingarten mit Kreisen, die nicht verwischt waren. Danach gab er mir zu verstehen, daß er die Kreise und Linien des Steingartens im Sand neu rechen könne. „Morgen gibt es Regen. Da hat es wenig Zweck. Doch übermorgen, Sonnabend, wäre es möglich. Kommen Sie bitte früh gegen zehn Uhr. Da ist der Steingarten neu gerecht“, sagte er. Ungläubig nahm ich die Einladung zur Kenntnis. Am besagten Tag war ich frühmorgens in einem anderen Tempel, der nicht weit von seinem lag. Ich konnte mir kaum vorstellen, daß er tatsächlich den Garten für mich gerecht haben würde. Anderntags hatte es wirklich geregnet. Sonnabend schien die Sonne. Wegen meiner Zweifel, beschloß ich allerdings, zurück nach Kyoto zu fahren, um Professor Yasu Suzuka zu besuchen. Das schien eine Fehlentscheidung gewesen zu sein. Angesichts seiner schlechten Laune meinte ich, der Tag wäre verloren. Das Kinderherz in mir gewann die Oberhand. Als Yasu endlich einmal eine Sekunde Zeit hatte, bat ich ihn: „Ruf doch bitte einen Priester an. Ich glaube, er wartet auf mich.“ Ich gab ihm seine Telefonnummer. Yasu wählte die Nummer und sprach eine ganze Weile mit ihm. „Der Priester wartet seit heute Morgen zehn Uhr auf dich! Laß uns sofort losfahren!“, bestimmte er. Das war genau das, was ich mir wünschte. Mit dem Autos Yasus fuhren wie eine Stunde lang, sodaß wir erst gegen 16 Uhr im Tempel ankamen. Schnurstracks ging ich in den Steingarten. Von den über fünfzig Steingärten, die ich in Kyoto gesehen hatte, war er einer der schönsten. Vor Freude lief ich in die Kreise hinein und kletterte auf die Steine, was verboten war. Die frisch gerechten Sandgalaxien sahen phantastisch aus. Ich fühlte die Verbundenheit zwischen dem Priester und mir und war mir sicher, er würde ein Auge bei mir zudrücken. Während ich auf einen der alten, heiligen Steine stand und in meine Aufnahmen vertieft war, rief in Englisch eine schroffe Stimme: „Komm sofort runter!“ Es war Yasu. Eine Gruppe japanischer Gläubiger näherte sich dem Tempel. Sie waren der Grund für Yasus Eingreifen. Ich sprang hinunter und ging zu ihm. Kaum war ich bei ihm angelangt, sagte er kalt: „Hurry up! Lets go!“ Ich gab ihm zu verstehen, noch eine Weile mit den Aufnahmen beschäftigt zu sein. Er nahm wenig Rücksicht, gleichwohl er wie ich Fotograf war und brüllte alle fünf Minuten „Hurry up! Lets go!“ Irgendwann erlosch jedoch seine Stimme. Ich setzte mich am Rand des Steingartens und meditierte. Die Energie des Gartens war ungewöhnlich schön. Nachdem ich eine Stunde lang in der Stille zugebracht hatte, fragte ich mich, wo Yasu wäre. Ich hatte ihn ganz vergessen. Ich drehte mich um und sah ihn in einer Unterhaltung mit dem Priester. Nach abermals einer Stunde Meditation drehte ich mich ein zweites Mal um. Yasu saß einige Meter hinter mir und meditierte. Prima! dachte ich. Jetzt läßt er mich mit seinem „hurry up“ in Ruhe. Nach einer dritten Stunde war ich es, die ihn bat, zurückzugehen. Yasu hatte wenig Lust. Er sprach nochmals mit dem Priester und es war nicht zu übersehen, daß er sich wohl fühlte. Als wir in der Dämmerung den Garten verließen, trällerte er ein Lied, hüpfte vor Freude wie ein kleiner Junge. „Was hast du mit mir gemacht? Was hast du mit mir gemacht?“, fragte er verwundert. „Als ich hier ankam, hatte ich extrem schlechte Laune. Jetzt geht es mir gut. Woher kennst du diesen Tempel? Woher kennst du den Priester? Beide habe ich nie zuvor gekannt, obwohl ich in Kyoto wohne!“ Gundula Schulze Eldowy

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Die Fotos zeigen die Seifenblase, die sich aber als metaphysischer, transparenter Spiegel erweist. Indem die Kamera den Bruchteil einer Sekunde aus der flüchtigen Existenz des Gebildes fixiert, können unsere Augen sehen, was ihnen sonst nicht möglich ist. In den schönen Farbwirbeln, die vor allem zarte Grenze zwischen Innerem und Äußerem sind, spiegeln sich der Himmel und die Bäume im Rücken der Kamera, zugleich scheinen außerdem noch die Bäume und der Himmel der gegenüberliegenden Seite durch die zarte Hülle. Es gibt Bilder von Blasen, die einen eigentümlichen schwarzen Fleck in der Mitte haben, dort, wo der auf die konvexe Seite fallende Schatten der Fotografin sich mit der umgedrehten Spiegelung des Schattens der konkaven Innenseite überlagert. Wie Monet, der in seinem Seerosenteich den Himmel erblickte, kann der Betrachter in den Steinen, Astlöchern, Seifenblasen und konzentrischen Wellen im Wasser den Kosmos entdecken und den eigenen Schatten mitten in ihm. Ursula Werner

"Es scheint alles sehr einfach"​

DER TAGESSPIEGEL, 16.1.1999, Katja Reissner

Higashikawa Foto Fiesta Preis

Preisverleihung an Gundula Schulze Eldowy Japan 1996

 Die japanische Photographin Miyako Ishiuchi ist sehr berühmt in ihrem Land und den USA, nicht aber bei uns. Und  Kozuhiko Motomura ist als Geschäftsmann, Verleger und Sammler ein guter Freund Robert Franks, mit dem ich auch Kontakt hatte. Er sammelt u.a. Bilder von Robert Frank und mir. Nun sind es auch die Japaner gewesen, die meine Photos der ägyptischen Pharaonen zuerst ausstellten in der Olympus-Photo-Plaza-Gallery, Tokyo.

Kulturchronik“, 1/1999, "Versuch, den Kosmos zu photographieren" von Ursula Werner
Versuch den Kosmos zu photographieren

Deutsche Version, Kulturchronik, Bonn 1999

Versuch den Kosmos zu photographieren

Spanische Version, Kulturchronik, Bonn 1999

Bildschirmfoto 2022 04 22 Um 17.15.34
Versuch den Kosmos zu photographieren

Französiche Version, Kulturchronik, Bonn 1999

Versuch den Kosmos zu photographieren

Englische Version, Kulturchronik, Bonn 1999

Versuch den Kosmos zu photographieren

Russische Version, Kulturchronik, Bonn 1999

Archiv: 5. September bis 20. Oktober 2017

Sämtliche Gewinner aller Sparten vom „Higashikawa-Foto-Fiesta-Prize:
https://en.wikipedia.org/wiki/Higashikawa_Prize

“Eine halbe Stunde Zeit”, Kyoto 1996, Gundula Schulze Eldowy

Zeit vergeht nicht, obwohl alle Dinge vergehen in der Zeit. „Eine halbe Stunde Zeit“ vermittelt anhand eines Sonnenstrahls, der durch den gerechten Kieskreis eines japanischen Zen-Tempels wandert, das Wirken der Zeit. Der Kreis ist eine kleine Sonnenwarte, in welcher die Sonnenwenden sowie Tag- und Nachgleichen abgelesen werden können. Beide Extreme der Zeit, Geschwindigkeit und Ewigkeit, kommen zum Ausdruck. 

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