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Spinning on my Heels

Spinning on my Heels / New York 1990-93

Spinning on my Heels / New York 1990-93

Spinning on my Heels – Einmal um die Achse gedreht

In den New York-Photos von Gundula Schulze Eldowy mischt sich etwas ein. Menschen stehen in Beziehung zu etwas: zu Menschen, Tieren, Häusern, Autos, Geld, Pflanzen, Natur, Wetter, Gebräuchen, Gewohnheiten und Dingen. Selten erscheinen sie allein. Eine betende Frau, deren Äußeres sie signifikant als einem früheren Jahrhundert angehörig ausweist, steht neben einer anderen mit ähnlicher Haube. Die eine ist aus Bronze, die andere aus Fleisch und Blut. Beide begegnen einander, ohne sich wahrzunehmen. Das nächste Bild zeigt eine Dame, glücklich einen Zeitungsleser anlächelnd. Die Begegnung findet auf verschiedenen Ebenen statt. Da der Mann in seiner Welt gefangen ist, sieht er die Lächelnde nicht. Misstrauisch begegnet er der Fotografin. Durch die schwarze Silhouette eines Mannes geht eine Frau hindurch, ohne von ihm bemerkt zu werden. Hinter einer tropfnassen Scheibe zerfließen Konturen eines Paares, die das Profil eines Zombies mit zwei Köpfen und vier Beinen annehmen. Wie im Befehlsempfang hält ein vornehmer Herr die rechte Hand an die Stirn. Vor ihm steht ein zweiter, der dem Betrachter den Rücken kehrt. Geldscheine sind zu sehen. Einer zeigt das Porträt der englischen Königin Elizabeth II. Ein Mann in Uniform schaukelt in den Himmel. Tizians Venus liegt nackt im Schaufenster der Fifth Avenue. Die amerikanische Flagge weht im Hintergrund. Ins Porträt zweier Damen mit Hut schieben sich zwei ähnlich gekleidete, die Goya vor zweihundert Jahren malte. Hirschgeweihe über Menschenköpfen in zusammenhanglosem Treiben. Im Park tanzt ein junger Mann mit der Frau seiner Träume. Die Frau ist eine Puppe, die er nach seinem Bilde schuf. Ein kleines Mädchen mit Zöpfen hebt die Arme über den Kopf und greift mit den Händen ins Leere. Die Seifenblasen zerplatzen zwischen den Händen. Unter dem Fußabdruck eines Schuhs erscheint eine glitzernde Stadt. Im Rücken eines schwarzen Mannes leuchtet eine nackte Paradies-Eva, während sich im nächsten Bild eine zähnefletschende Frau unmerklich über zwei Männer schiebt, die friedlich auf einer Bank nebeneinander sitzen, als wolle sie sie zerfleischen. Worte wie pay cuts, cardinal und worker erscheinen einzeln, ihres Zusammenhanges beraubt, im kantigen Profil einer Frau, deren Hinterkopf ein bis auf Gräten und Kopf abgenagter Fisch ist. Sein Geist mischt sich nun mit ihrem.

Gundula Schulze Eldowy findet sich in einer modernen Geisterstadt wieder. Die Fotografin nimmt die Haltung einer Träumenden ein, die in einer allegorischen Zeitreise sich an einen Ort begibt, an dem ihr Geist schon einmal gewesen zu sein scheint. Die Menschen erkennt sie nicht mehr wieder. Was ist aus ihnen geworden? fragt sie sich verwundert. In deren Verlorenheit bemerkt sie ihre eigene Verlorenheit. Weder sie noch ihre Protagonisten verstehen, was mit ihnen geschieht. Sie treiben in einem Strom aus Synchronisationen, Gleichzeitig- und Mehrdeutigkeiten, den Emanationen des Geistes; ein Geist, der den Menschen fremd geworden ist, der, ohne wahrgenommen zu werden, sich in ihnen virtuos ausdrückt und im Spiegelbild von Millionen Schaufenstern der Stadt als ständiger Begleiter nicht abzuschütteln ist, ebenso wenig wie ihre Schatten auf dem Asphalt. Das Geistige ist in seiner Offenbarung doppeldeutig. Es bezieht sich sowohl auf die materielle als auch auf die geistige Welt, da beide ineinander verzahnt sind. Ein Erlebnis kann ebenso auf der Tages- als auch auf der Traumebene stattfinden. Gespenstergleich wandeln Menschen durchs Leben, gehen nicht weg, kommen nicht an – Bewegung als pure Illusion. Aufziehpuppen gleich tanzen sie im Kreis, in dem mechanisch wiederholt wird, was generationenlang getan wurde. Ein modernes Lied, in dem Gleiches durch Resonanz zueinander findet, quillt aus den Bildern. New York ist außer sich. Die Übersetzung von Spinning on my Heels mit Einmal um die Achse gedreht gibt die Doppeldeutigkeit der Worte treffender wieder. Drehen und das damit verbundene Schwindelgefühl assoziiert Eingesponnensein, Versponnen- und Verrücktheit.

J.L.A.

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