Ägyptische Tagebücher / Das weiche Fleisch kennt die Zeit noch nicht 1993-2000
Die Pyramiden von Gizeh waren in Nebel gehüllt. Ein Zauber hatte sich ihrer bemächtigt. In Kairo ist Nebel eher selten. Die Ruinen muteten wie im Märchen an. Überhaupt ist Ägypten ein von Geheimnissen umwobenes Land. Es geschehen die merkwürdigsten Dinge. Ich könnte es mit keinem anderen Land der Welt vergleichen. Am wenigsten mit meinem Heimatland Deutschland. Nun, in der Wüste herumirrend, beginne ich zu zweifeln. Was wäre, wenn mich meine Intuition heute im Stich ließe? Wie oft schon bin ich meiner Intuition gefolgt, obwohl ich anfangs nur eine klitzekleine Ahnung hatte? Erst wenn ich auf dem Weg bin, beginnt sich auf geheimnisvolle Weise eins zum anderen zu fügen, als würde ich geführt. Hätte ich diese Begabung nicht, wäre ich in Ägypten längst gescheitert. Das Land hat viele Tücken. Mehrere Male bin ich mir wie im Spiegelkabinett vorgekommen. Statt Wirklichkeit begegnete mir fauler Zauber. Mittlerweile habe ich gelernt, Zauber und Wirklichkeit zu unterscheiden. Die Fabeln und Legenden türmen sich in Ägypten zu Pyramiden auf. Selbst die Erde erzählt ihre eigenen Geschichten, als wäre sie eine lebendige Bibliothek.
Schulze Eldowys ganzes Sinnen (Über-Sinnen möchte man da fast sagen) gilt mittlerweile einer poetischen Wiederverzauberung der Welt. Peter Kunitzky
Ihre Bilder sind Geschichten von unerschöpflichen Inhalt.
Prof. Reinhold Hohl, Konservator der Grafischen Sammlung ETH Zürich, in einem Brief an Gundula Schulze Eldowy, Zürich 7. Januar 1994
Das weiche Fleisch kennt die Zeit noch nicht
Fotografie ist die Aneignung der Welt. Was wir nicht haben können, bannen wir auf ein Bild, um es zu besitzen. Wir möchten den Fluss und unser Vergehen darin anhalten. Dabei ist das, was wir Fluss nennen, ein Teil von uns. Keine Welt existiert ohne das Fließen von Zeit. Wie also können wir uns selbst anhalten?
Es gibt einen „Trick“. Er liegt im scheinbaren Anhalten, im Ausdehnen und Vertiefen eines Augenblicks. Er hat etwas mit Hingabe zu tun, wenn wir etwas aus vollem Herzen tun. Das ist ein mystischer Moment, weil das Herz ganz und gar in dem aufgeht, was es gerade erlebt. Der springende Punkt ist das Erleben. Nur was wir erleben, behalten wir. Mag es auch unbewusst geschehen. Es kann nicht verloren gehen, weil es gewesen ist. Alles, was gewesen ist, bleibt. Es geht in neuen Momenten auf, vermischt sich und wird neu erlebt.
Ein Beispiel: Gestern war ich am Meer. Eine innere Stimme hauchte zu mir: „Wenn du am Meer bist, denk nicht an die Vergangenheit, denk auch nicht an die Zukunft, denk dich nicht an einen anderen Ort oder an eine andere Zeit. Mach das, was gerade da ist: Bade, schwimme, sei! Erfreue dich am Meer und gibt dich dem Meer nach Herzenslust hin! Denk nicht, wie es sein könnte, im Meer zu schwimmen, sondern sei es, schwimme jetzt im Meer!“Das galt natürlich im übertragenden Sinn für alles, was meine ungeteilte Aufmerksamkeit verlangt, denn dorthin, wo meine Aufmerksamkeit fließt, fließe auch ich.
Zeit hat etwas mit Hingabe, Vereinigung, Stille und Einssein zu tun. Je tiefer ich etwas erlebe, desto besser behalte ich es. Zeit will nicht gezählt, sondern erlebt sein. Wer sie zählt, zählt den Tod. Die Zeit und der Tod sind ein Geschwisterpaar. Kalender und Uhren bringen einen davon ab, etwas voll und ganz zu erleben, eben weil keine Zeit ist.
Gundula Schulze Eldowy
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… Hinter die Dinge zu sehen, ist den Menschen gegeben. Nicht an der Oberflache zu bleiben, eine imaginäre Welt zu erschaffen, die die unsere an Poesie, Lust und Rausch übertrifft, ist der Versuch, die eigene Wahrnehmung durch die Kraft der Phantasie zu erweitern… Gundula Schulze Eldowy befreit sich vom Zwang, die wiedererkennbare Wirklichkeit aufzuzeigen, indem sie intuitiv, aber gezielt, verschiedene Schichten in Mehrfachbelichtungen übereinander lagert. Diese Amalgamierung benötigt bisweilen Wochen bis zum Auffinden der nächsten Schicht, entführt den Betrachter dann jedoch in eine Welt voller Geheimnisse. Antlitz, Federn und Wasserglanz auf dem Strom oder der Traum vom Glück des kleinen Hirten fügen sich flirrend zu einer irritierend duftigen Bildersprache. So liegt denn der Reiz ihrer Bilder sowohl in der überraschenden Tiefenstaffelung wie in der Sicherheit der Komposition. Die Macht ihrer Bilder erfahren wir besonders durch das Aufeinanderprallen scheinbar unvereinbarer Teile. Wie Magnete, die entweder zueinander streben oder sich abstoßen, je nachdem wie wir sie einsetzen, sie zueinander stellen, erzeugt auch das Bild der Welt, das Gundula Schulze Eldowy entwirft, in uns Anziehung oder Abstoßung. Es liegt an der Aufnahmefähigkeit des Betrachters, ob er bereit ist, auf die sichtbare, aber bislang nicht gesehene, oder die imaginäre Wirklichkeit einzugehen. Diese Fotografien sind wie Kinder, sie spiegeln die Umwelt, erlauben uns die Wahrnehmung unterschiedlicher Gefühlslagen und entführen uns in jenen Binnenraum von Seele und Herz, der Ausgangspunkt all unserer Erkenntnis ist. Ins Leben tritt hierbei der Duft der Bilder, eine poetische Aussage, die sich hinter der sichtbaren Oberfläche verbirgt. Scheinbar unvereinbare Motive ergeben in ihrer Überlagerung ein dichtes Geflecht von Licht und Schatten, Rätsel und Bedeutung. Wie eingedampft wirken die Motive unter eine Oberflache aus Farbenklang. Chiffren werden zu Transmitter ihrer künstlerischen Botschaft: Feder, Pferd, Adler, Stein, Wasser; der Mensch und – natürlich – das Licht. Der innere Klang der Dinge und unsere Herkunft ist Thema geworden. Durch das Verschmelzen verschiedener Schichten der Wirklichkeit eröffnet die Fotografin dem Rezipienten eine neue Möglichkeit der Wahrnehmung. Sie verführt, in ihren Bildern zu lesen und zu suchen und hält uns so einen Spiegel vor, der mindestens so sehr nach innen gewandt ist wie in die Oberfläche der Bilder hinein… Thomas Schirmböck, „Der Schmetterlingstraum“, aus: Ägyptische Tagebücher, Edition Stemmle,Kilchberg/Zürich, 1996
… Man has been granted the ability to see behind things – not to remain at the surface, but instead to create an imaginary world which in its poetry, its passion and its intoxication outdoes our real world. This is an attempt to expand our perception through the power of imagination…Gundula Schulze Eldowy liberates herself from the obligation to show recognizable reality. Sometimes it is weeks before the next layer is found for this amalgamation, but then it is capable of abducting the spectator into a world packed full with secrets. A face, feathers and the gleam of water in a river – or the little shepherds dream of happiness – converge, shimmering, to create an irritatingly refined pictorial language. Thus the charm of her photographs lies both in their surprising staggered arrangement and in the self-assurance of their composition. We experience the force of her photographs most vividly in the clash of apparently irreconcilable parts. Like magnets – which either attract or repel one another, depending on how we use or place them – the image of the world which Gundula Schulze Eldowy creates awakens in us both attraction and repulsion. It depends upon the viewer’s receptivity whether he is prepared to respond to the visible but as yet unseen reality or to the imaginary reality. These photographs are like children. They reflect their surroundings, allow us to perceive different emotional levels and pull us into that space between the soul and the heart which is the point of departure of all our knowledge.
In this process, the essence of the images comes to life – a poetic affirmation which is concealed behind the visible surface. Through the process of superimposition, seemingly incongruous motifs of weave a dense fabric of light and shade, of mystery and meaning. The motifs seem as if dehydrated beneath a surface of colored tones.
Codes become transmitters of an artistic message: feather, horse, eagle, stone, water, man, and – of course – light. The theme has become the inner resonance of things and our own origins. Through the fusion of different layers of reality, the photographer opens up a new possibility of perception for the spectator. She seduces us to read and search in her photographs. Thus she holds up a mirror to us, a mirror turned no less inward than towards the surface of the images…
Gundula Schulze el Dowy: Herbstbellen. Ägyptische Tagebücher
21. Mar 1996 – 28. Apr 1996
Kunsthaus Dresden
Ausstellungen
Ägyptens Pyramiden
Gundula Schulze Eldowy, Buch „Ägyptens Pyramiden“, Unikat, Format: 29x27cm, in Leinen gebunden, 148 farbige Photographien der Größe: 22,0 x 14,4 cm, C-Prints, signiert, datiert, betitelt, (siehe Serie: “Ägyptische Tagebücher“, “Verborgene Pyramiden“ und „Archäologische Entdeckungen einer deutschen Photographin in Ägypten“)