Der Wind füllt sich mit Wasser
Diese Kreuzfahrt durch das Dickicht des Nebels ins ferne Land ist zeitlos, weder an eine DDR gebunden, noch an Ägypten oder New York, Japan oder Peru. Sie sieht die Zusammenhänge komplex und sieht auch, dass sich Kriege und Abgründe wiederholen: „Nicht die Kolonisierung eines Territoriums, sondern die Kolonisierung der Seele, steht im Mittelpunkt.“ Somit ist ihre Fotografie auch keine Gesellschaftskritik, oder Ideologiekritik, sondern Aufzeichnungen von Tatbeständen, einer zeitlosen Argonautin und Nebelgängerin.
Gundula ist Fotografin und sie ist sie es nicht – sie ist Nebelgängerin . Denn nur über die Nebelzone gelangt sie zu dem unsichtbaren Raum der zeitlosen Gesetze des allesundeins, mit dem sie flirtet und davon reitet. Zurück kommt sie mit Bildern aus anderen Welten. Und keiner will es glauben, was geschehen sein soll.
Die wirkungsmächstigsten Erzählungen jedoch, zu den verbotenen und verronnenen Orten (ihrer Selbst), finden sich in ihren eigenen Niederschriften. Im Tagebuch selbst. Mit Viktor Turner aus „Struktur und Anti-Struktur“ gesprochen, sind Reisen revitalisierende Übergangsriten, die, von allen normativen Strukturen befreitet, eine Liminalität erfahrbar machen.
Das Tagebuch (und die Fotografie) sind hier Bergungsort inmitten der einsamen Entscheidung, hauslos vorwärts zu gehen, dem Ankommen im „Schwellenzustand“ entgegen.
Die Titel ihrer Reisetagebücher – das meint natürlich auch ihrer fotografischen Serien – , die poetischer nicht sein können und als Ausnahmebeispiele in das Fachgebiet „Poetik und Ästhetik“ eingeführt werden könnten, Titel wie:
> Berlin in einer Hundenacht
> Das unfassbare Gesicht
> Zu Hause ist ein fernes Land
> Eulenschrei des Verborgenen, oder
> Das flüssige Ohr ….
… sind im Grunde gar keine Poesie. Es ist die natürliche Sprache die sich selbst spricht im Schwellenzustand.
Der Nebel ist das Symbol hierfür. Die reale Nebelzone aber, ist das Bindemittel zwischen den Räumen in denen es keinen Ort gibt sondern nur die Reise, den Flug, den Galopp und glitschiges Hinabgleiten in eine bisher ungeschriebene Dramaturgie aus Körpern, Zeichen, Formen und Farben. Dann erst, wenn der Nebel sich mit Wasser füllt öffnet er der Verliebtverlorenen den Vorhang – für ein gleißendes Geheimnis.
Das Einmaleins des Nomadentums hat Gundula von ihrer Grossmutter mit auf den Weg bekommen. Dreh dich nicht um! Geh weiter! Fürchtlos, mädchenhaft und aufrichtig! Es gibt nichts was du im Zurücklassen bereuen könntest! – Und so ist sie furchtlos geworden – und fest im Glauben, dass die unsichtbare, überall webende communitas, ihr Freund ist.
Das Buch „Berlin in einer Hundenacht“ enthält 6 Serien:
1. Berlin in einer Hundenacht, 2. Arbeit, 3. Straßenbild, 4. Tamerlan, 5. Aktporträts, 6. Der Wind füllt sich mit Wasser.
“…Bald verdichteten sich Nebelwolken, die vom Meer herangezogen. Jemand schob den Vorhang zwischen Himmel und Erde zu, verhüllte den Blick auf die Sterne, der sich uns eben noch bot. Von den Tönen angelockt, schienen mit dem Nebel fremde Bewohner anzureisen, die sich absichtlich in Nebel hüllten, um sich nicht zu erkennen zu geben. Oder war es der Nebel selbst, von dem Leben ausging? Eine bestimmte Energie lag in ihm. Den gleichen Vorgang hatte ich bereits vor einigen Tagen an derselben Stelle beobachtet, als ich hier allein meine Gedichte rezitiert hatte. Vom Meer wälzte sich eine dicke Nebelwolke heran. Ehe ich mich versah, war der ganze Berg von ihr eingehüllt. Keine hundert Meter weit konnte ich sehen, trotz der Mittagszeit, in der eben noch die Sonne brannte. Weil ich jemanden hinter mir spürte, drehte ich mich mehrere Male um. Zu meiner Verblüffung war niemand zu sehen. Trotzdem spürte ich deutlich, nicht allein zu sein”, Gundula Schulze Eldowy
NEBEL = LEBEN
Umgedreht gelesen
Berlin in einer Hundenacht
Lehmstedt, 1977 -1989