Uralte Tunnel in Peru + Bolivien
Die Tunnel sind geheim. Niemand, außer den Anwohnern, kennt sie. Sie sind sehr, sehr alt. Vermutlich haben auch die Spanier keine Straßen, sondern diese Tunnel benutzt. Meine Dokumentation ist die erste, die jemals so ausführlich veröffentlicht wurde. Es gibt nur eine Publikation von Anfang der siebziger Jahre, die in der Zeitschrift „Bild der Wissenschaft“ mit dem Artikel „Ein weiteres Geheimnis der Inkas“ im Jahr 1971 veröffentlicht wurde.
Während der Forschungsreisen von Javier Alberto Garcia Vásquez und Gundula Schulze Eldowy durch die Anden, die seit zwanzig Jahren anhalten (2001-2021) stoßen die beiden auf ein uraltes, antikes Tunnelsystem, das unbekannt ist und sich durch die Anden zieht: von Cajamarca zum Pazifik, Cuzco und dem Amazonas, von Sacsayhuaman zur Coricancha in Cuzco. Antike Tunneleingänge gibt es in Saywite, Tiahuanaco, Marca Huasi, im Campiña de Moche, wo die Hazienda der beiden liegt. Dort ging der Vater Evaristo Garcia Vásquez in den unterirdischen Bereich der Moche-Mondpyramide, wohin ein Strang des antiken Tunnelnetzes führt. Es gibt Berichte von Tunneln in der Moche Sonnenpyramide, die neben der Mondpyramide steht. Einer der wenigen offiziellen Berichte spricht von einem Tunnel, der in einer Höhle von Huaraz in den Anden beginnt und am Meer, gegenüber der Insel Guanape, endet, dort, wo die antike Moche Pyramiden-Stadt Gallinasso gelegen ist, die die beiden erkundeten und photographierten. Der Tunnel ist einer der ganz wenigen, der erforscht wurde. Ansonsten gibt es keine offiziellen Informationen über das Tunnelnetz. Wann immer die Behörden von Tunneln erfahren, mauern sie sie zu. Einiges über diese geheimen Tunnel ist im zweiten Erzählband „Tänzerflügel“ von Gundula Schulze Eldowy zu erfahren. Sie selbst ging mit ihrem Mann und zwei Begleitern in einen dieser Tunnel hinein. Erfahren Sie hier ihren Bericht.
TÄNZERFLÜGEL
von Gundula Schulze Eldowy
Auszüge
Antiker Tunnel in Ventanillas de Otuzco, Perú
Der Tunneleingang liegt gut versteckt am Abhang des Berges und ist von wuchernden Pflanzen verdeckt. Bevor wir hineingehen, empfiehlt uns der Alte, ein Ritual durchzuführen, um den Berggeist um Erlaubnis zu bitten, sein Inneres betreten zu dürfen. Berggeister gelten denAndenbewohnern als lebendige Wesenheiten. Wir sprechen ein Gebet und segnen uns gegenseitig. Beim Betreten des Tunnels geht der alte Mann voran. Ich folge an zweiter Stelle.
An dritter geht sein Enkel und am Schluß Javier. Beim ersten Schritt muß ich mich wegen der Verengung am Eingang ducken. Drinnen ist der Tunnel mehr als einen Meter breit und zwei Meter hoch. Nach einigen Schritten erweitert sich der Gang. Der Tunnel läßt genügend Platz, um zügig laufen zu können. Augenblicklich fühle ich mich vom Inneren der Erde verschluckt.
Aus der Außenwelt dringen keine Geräusche mehr. Gewunden führen die grob bearbeiteten Felsenwände in die Eingeweide des Berges. Die Oberfläche des Bodens ist staubig, trocken.
Es ist bequem zu laufen. Der Tunnel ist kein Bergwerksstollen. Die Inkas kannten keine Bergwerke. Ihr Gold wuschen sie aus Flüssen. Er ist kein Tunnel aus der Neuzeit.
An der ersten Biegung verliere ich den alten Mann aus den Augen. Seiner Schnelligkeit nach zu urteilen ist er mit dem Tunnel vertraut wie mit seiner eigenen Westentasche.
Er muß ihn viele Male betreten haben. Beim Schein meiner matten Funzel stolpere ich über leere Bierflaschen, die im Weg liegen. Ich laufe langsamer, bedenke jeden weiteren Schritt, um nicht zu stürzen. Ein leichter Luftzug streift mich, wahrscheinlich vom anderen Ende desTunnels kommend, denn nach Angaben des alten Mannes reicht der Tunnel sehr weit.
„An einer Stelle kommt eine Wegkreuzung, wo der Tunnel sich in verschiedene Arme zerteilt. Einer führt zum Meer, einer zum Amazonas, einer nach Cuzco und einer nach Cajamarca“, hat der Alte vor Betreten des Tunnels gesagt. Cuzco und der Amazonas liegen Tausende Kilometer weiter weg, unvorstellbare Entfernungen für ins Felsgestein gehauene Gänge. Wer mag diese Leistung vollbracht haben?
„Langsam dämmert mir, wie die antiken Inkas frischen Fisch in die Anden transportierten.
Ganz klar, Sie haben die Tunnel benutzt!“, ruft Javier hinter mir, dem Ähnliches durch den Kopf zu gehen scheint. Peruanische Schulkinder lernen, die Inkas hätten sich frischen Fisch vom Meer bringen lassen. Aber wie? fragte sich Javier sein Leben lang. Auch wenn die Bergläufer noch so schnell gewesen wären, so war es doch unmöglich, auf normalen Gebirgspfaden Meeresfisch Hunderte Kilometer tief in die Anden zu befördern, um frisch auf die Teller der Inkafürsten zu kommen. Heute führt eine schmale Serpentinenstraße von der Pazifikküste nach Otuzco, auf ihr sind Javier und ich in einer Achtstundenfahrt hierher gekommen. Während der Busfahrt brach ein Stück der Straße ab und stürzte in die Tiefe. Unbekümmert lavierte der Fahrer den Bus vorbei und hatte Glück. Andere Busse dagegen stürzten aus demselben Grund in die Tiefe und rissen die Passagiere in den Tod.
Überwältigt vom Gefühl, auf einem antiken Weg in das Innere der Erde zu sein, spitze ich die Ohren. Ein leises Rauschen ist zu hören.
„Wo kommt das Rauschen her?“, frage ich Javier.
„Im Berg ist fließendes Wasser“, ruft er mir zu.
Mit meiner Funzel kann ich nur das Allerwichtigste erspähen. Da mein Vordermann vorausgeeilt ist und ich mich am Schein seiner Lampe nicht mehr orientieren kann, achte ich auf den Schein meines Hintermannes. Als auch dieser ausbleibt, drehe ich mich um. Javier ist stehengeblieben und beugt sich gerade über die rechte Wand, wo er im Schein seiner Lampe etwas genauer untersucht…
…„Dieser Tunneleingang ist einer aus einer ganzen Reihe von Eingängen, die sich quer durch die nächstliegenden Berge der Anden ziehen. Ein paar Meter weiter ist ein zweiter Tunnel, der allerdings wesentlich größer ist und dessen Innenwände glattgeschliffenen sind. Ebenso der Boden. Man kann mit einem Lastwagen hineinfahren, so weiträumig ist er. Falls Sie nicht entmutigt sind, können wir gern hingehen“, schlägt der Alte vor.
„Ich würde gern hineingehen“, antwortet Javier. Ich pflichte ihm mit einem Nicken bei.
Wir laufen einige Schritte am Hang entlang, der von Pflanzen überwuchert ist. An einer Stelle bleibt der Alte mit seinem Enkel stehen, zeigt auf wuchernde Sträucher am Felsrand, zu denen ein Trampelpfad führt.
„Hier ist der Eingang. Er wurde mit geschichteten Steinen geschlossen.“
„Von wem?“
„Von den Behörden.“
„Wann denn?“, frage ich.
„Als ich so alt war, wie mein Enkel Jairo heute.
„Wie alt sind Sie?“
„Dreiundachtzig.“
„Dann muß der Tunnel zwischen 1930 und 1940 geschlossen worden sein“, stellt Javier fest.
„Warum ist er geschlossen worden?“ will ich weiter wissen.
„Weil viele Menschen darin umkamen.“
„Im Ernst?“
„Sehr viele Menschen verschwanden im Tunnel. Als es zu viele wurden, verschlossen die Behörden den Eingang.“
„Gilt das auch für den Tunnel, in dem wir gerade waren?“ frage ich betroffen.
„Wie dieser hier war auch der erste Tunnel vermauert. Er ist erst seit kurzem wieder geöffnet.“
„Ist das Betreten der Tunnel lebensgefährlich?“
„Keine Sorge, uns wird schon nicht der Teufel holen!“, witzelt der Alte vielsagend und deutet mit breitem Grinsen an, mehr zu wissen, als er momentan preisgeben möchte.
„Da dieser Tunnel seit über siebzig Jahren geschlossen ist, kennen ihn nur die Alten aus der Umgebung. Wie gut haben Sie den Tunnel gekannt?“, höre ich Javiers Frage hinter mir, während ich den Trampelpfad hinaufgehe, der an der Felswand endet. Dieser Pfad ist das einzige Zeichen des ehemaligen Eingangs, der inzwischen von üppigem Pflanzenwuchs überwuchert ist. Kein Mensch würde je einen Tunnel hinter diesem Dickicht vermuten.
„Als ich ein kleiner Junge war, erzählten mir meine Großväter, was sie von ihren Großvätern gehört hatten. Genauso bekommen es heute meine Enkel von mir zu hören. Jairo weiß Bescheid“, sagt der Alte und legt seinen Arm zärtlich um das Kind.
„Was erzählten sie denn?“, will Javier, von Neugierde angestachelt, wissen.
„Einst sind aus dem Tunnel Reiter gekommen, was lange nach der Ankunft der Spanier gewesen sein muß. Beim Anblick der fremden Reiter bekamen meine Vorfahren einen Schreck, weil sie von einem fremden Ort aus dem Inneren der Erde kamen, der ihnen unbekannt war. Sie hielten sie für Götter. Nachdem die Reiter eine Weile draußen waren, kehrten sie in den Tunnel zurück.“
„Wie alt ist denn der Tunnel?“, frage ich.
„Keiner kennt sein Alter. Er ist aus grauer Vorzeit, vermutlich sehr, sehr alt, älter, als der, den wir gerade betreten haben. Er hat am Eingang eine ebensolche Verengung wie der erste, doch je tiefer man hineingeht, desto höher und breiter wird er“, erzählt der Alte, macht eine Pause, um tief Luft zu holen und fährt fort: „Einst ist eine Gruppe von fünf Männern aus meiner Familie hineingegangen. Sie kamen nicht mehr zurück, eine zweite Gruppe von zehn Männern machte sich auf, um die erste Gruppe zu suchen. Nach dem die zweite Gruppe einen Tag und eine Nacht im Tunnel zu Fuß gelaufen war, kam sie zu einer Ortschaft. Bedenken Sie, es war Ende des 19. Jahrhunderts. Obwohl die Ortsbewohner die Männer der Oberflächenerde sahen, sprach keiner mit ihnen ein Wort.
Um sich zu schützen, hatten die zehn Männer unterwegs Cocablätter und Knoblauch gekaut. Als Reiseproviant diente Alkohol. Damit war es ihnen tatsächlich gelungen, heil in die unterirdische Siedlung zu gelangen.“
„Wann im 19. Jahrhundert war es?“, fragt Javier.
„In der Zeit meiner Großväter, lange bevor ich geboren wurde.“
„Wann sind Sie geboren?“
„Ich bin 1930 geboren.“
„Wie sahen die Häuser des Ortes aus?“
„Die Häuser waren bunt. Sie wirkten wie im Traum. Als die Männer die Siedlung
betraten, sahen sie seltsamerweise keine Tunnelwände mehr, sondern helles Licht, wie unser Himmelslicht auf der Erdoberfläche.
Die Stadt hatte alles, was wir heute kennen; Geschäfte, Straßen, Plätze, Häuser, Früchte wie Mangos, Avocados oder Bananen.“
„Wie lange waren die Männer in dem Ort?“, will Javier wissen.
„Als die Männer aus dem Tunnel traten, fanden sie nicht nur eine Stadt mit einem Himmel vor, sondern sie bemerkten noch weitere Tunnelausgänge, die sich ringsherum um den Ort zogen. Um nicht die Orientierung zu verlieren, blieben
vorsichtshalber zwei ihrer Leute an dem Ausgang stehen, aus dem sie gekommen waren.
Die übrigen acht Männer gingen in die Stadt, um die verlorene Gruppe zu suchen.“
„Wieviele Tunnel gingen von der Stadt ab?“
„Die Stadt hatte fünf Tunnelein- und ausgänge.“
„Wie sahen die Leute der Innererde aus?“, will ich wissen.
„Sie waren Menschen mit blonden Haaren und blauen Augen.“
Blonde und Blauäugige waren im alten Peru nichts Seltenes. Javier hatte einmal die Mumie einer Frau mit blonden Haaren gesehen, die in einem antiken Mochegrab seiner Vorfahren gefunden wurde. Schon im achten Jahrhundert vor Christus, lange vor der
Ankunft der Spanier, hatten die Moches, die wie die Inkas und Aymaras ein antiker Stamm sind, der bis heute überlebte, ihr einstiges Wohngebiet verlassen. Sie hinterließen Hunderttausende keramischer Skulpturen, die den Charakter einer Bibliothek aus Ton tragen. Unter den Keramiken sind Menschenstatuen mit langen, blonden Bärten gefunden worden. Manche tragen Flügel- oder Merkurhelme, die ein typisches Kennzeichen der Europäer sind.
Auch altertümliche Tempelwände wie die von Medinet Habu in Ägypten stellen Europäer mit Flügelhelmen dar. Nach Ansicht peruanischer Archäologen entstammt die Mochekultur einer Zeit von 200 v. Chr., was erst kürzlich von Walter Alva, dem berühmtesten Ausgräber Perus,
aufgrund neuer Keramikfunde, die er auf 1.500 vor Christus datiert, korrigiert wurde. Die Nachfahren der Moche aber glauben, daß ihre Kultur noch viel älter ist. Der Küstenstreifen im Norden Perus ist seit mehr als zehntausend Jahren besiedelt. Das gesamte Gebiet, in dem
die Moches bis heute leben, ist eine ausgedehnte Nekropole von Gräbern, Tempeln und Pyrmiden. Auch Javiers Bruder Rodolfo hatte einmal eine Keramik seiner Vorfahren gefunden, die gleichfalls einen Mann mit blonden Haaren und blondem Bart darstellte, der
einen Flügelhelm trug. Dieses Mochegrab war einige Tausend Jahre alt und die Keramik war lange vor Ankunft der Spanier entstanden…
… „Wie verhielten sich die Bewohner der innerirdischen Stadt gegenüber den Männern der Oberflächenerde?“, fragt Javier.
„Sie schauten weg. Sie nahmen keine Notiz von ihnen, ignorierten sie, sprachen kein Wort mit ihnen, als wollten sie nichts mit ihnen zu tun haben, mehr noch, als würden sie wissen, woher sie stammen. Nur ein einziges Mal sprach eine Frau der Stadt etwas zu ihnen. Sie sagte etwas Verächtliches, während sie angeekelt auf die Erde spuckte. Bedenkt bitte, daß die Männer nach Alkohol und Knoblauch stanken, was schon für uns kaum zu ertragen ist. Den Alkohol tranken sie nicht aus reinem Vergnügen, sondern als Vorsichtsmaßnahme. Der Gestank war absichtlich herbeigeführt, um Dämonen abzuwehren, die den Tunnel. beherrschen. Dämonen mögen Alkohol- und Knoblauchgestank von Menschen nicht. Sie mögen auch niemanden, der Cocablätter kaut. Coca ist eine reichhaltige Pflanze, die die wichtigsten Nährstoffe enthält. Man kann sich allein von Cocablättern ernähren. Wir Andenbewohner nehmen sie gewöhnlich, um unser Bewußtsein zu erweitern und um mit den Elementargeistern in Verbindung zu treten. Die Cocablätter werden im Mund zu einem Ball geformt, den wir in die Wange schieben und so belassen, was aussieht, als hätten wir einen vereiterten Zahn. Wegen dieser Vorsichtsmaßnahmen gelang es meinen Vorfahren, unbeschadet hin- und zurückzugelangen. Das haben bisher nur wenige Menschen geschafft. Die Allerwenigsten sind heil zurückgekommen. Nachdem die zehn Männer vergeblich die verlorene Gruppe gesucht hatten, kehrten sie unverrichteter Dinge heim. Niemandem der zweiten Gruppe wurde auch nur ein Haar gekrümmt, wohingegen die Männer der ersten Gruppe verschwunden blieben. Keiner hat je erfahren, was aus ihnen geworden ist.“
„Hatten die Männer der verschwundenen Gruppe sich auch mit Cocablättern, Alkohol und Knoblauch geschützt?“ will ich wissen.
„Nein, sie waren ungeschützt in den Tunnel gegangen.“
„Erging es mehreren Menschen so, die ungeschützt in den Tunnel gingen?“
„Ein Beispiel soll es euch verdeutlichen. Mein Cousin war im Alter von zehn Jahren einmal mit zwei Touristen, einem Ehepaar, hineingegangen, die ihn gebeten hatten, sie in den Tunnel zu begleiten, so wie ihr heute mich und Jairo gebeten habt. Er ging bis zu der Stelle mit, wo das Wasser fällt. Dort angekommen, wollte er umkehren, so wie du heute umkehren wolltest“, sagt der Alte zu mir gewandt und fährt fort: „Die Touristen waren unvernünftig und wollten auf keinen Fall umkehren. Er mußte sie zur Umkehr zwingen. Er hatte von ihnen nur ein schäbiges Trinkgeld von fünf Dollar bekommen. Der Handel kostete ihm das Leben, denn tags darauf begann aus Nase und Mund Blut zu laufen. In schwindelerregender Eile nahm er ab. Völlig ausgezehrt starb er schon nach wenigen Tagen. Er und die Touristen waren ohne Schutz in den Tunnel gegangen. Was aus den Touristen geworden ist, weiß ich nicht.“
„So wie auch wir gerade ohne Cocablätter, Knoblauch und Alkohol in den Tunnel gegangen sind“, stelle ich ernüchtert fest.
„Wir sind nicht tief hineingegangen“, beruhigt mich der Mann, schaut in die Ferne und sagt: „Auf dem gegenüberliegenden Berg gibt es übrigens einen dritten Tunneleingang. Er liegt in einer Bergfalte unterhalb der Spitze. Er ist nicht zugemauert, aber riesige Pflanzen versperren den Weg. Ein vierter, noch gigantischerer Tunneleingang liegt zwei Stunden Fußweg von hier Richtung Osten. Er befindet sich an einem steil abfallenden Abhang und ist nur mit Hilfe von Seilen zugänglich.“
„Wenn es, wie Sie sagen, mehrere Tunneleingänge in der innerirdischen Stadt gab, dann führen sie logischerweise in verschiedene Richtungen, genauso wie die Straßen unserer Städte“, vermute ich. Ein Schweigen setzt ein, jeder von uns überläßt sich seinen Gedanken. Javier schlägt vor, uns die Inkaruine näher anzusehen. Wir laufen den Berghang in eine Ebene hinunter, von der aus sich ein Rundumblick auf die Berge ergibt. Die Mauern des Inkapalastes stehen noch und sind ziemlich groß. Sie gewähren einen Einblick in eine prächtige Zeit, in der die Europäer vergleichsweise arm gewesen sind.
Antiker Inka-Tunnel in Chicche, Perú
… „Gegen Mitternacht tanzten im gelben Widerschein eines Feuers Inkas in antiker Kleidung. Und da ich häufig mit meinem Vater dorthin ging, sah ich sie jedes Mal tanzen. Ich sah sie als Kind und ich sah sie als Zwanzigjähriger. Jedesmal tanzten sie im gelben Widerschein des Feuers in der alten Inkakleidung und jedesmal gegen Mitternacht. Ob sie heute noch tanzen, vermag ich nicht zu sagen, weil ich nachts nicht mehr hinging“, erzählt Zenon Gil vor dem Chicche Tunnel. Er löst sein Versprechen ein, uns beim kommenden Besuch einen noch größeren Tunnel zu zeigen, der mitten am Abhang liegt. Mit einer Höhe von fünfzig und einer Breite von dreißig Metern ist er der größte Tunneleingang, den wir je sahen. Da er in der Mitte eines steil abfallenden Berges liegt, ist es unmöglich, ohne Seil in den Eingang zu gelangen. Der Eingang wurde nicht zugemauert. Der Anblick des Tunnels weckt bei Zenon Gil alte Erinnerungen. Als er zu seiner Verlobten ging, die aus einem Dorf hinter dem Berg stammte, mußte er als Achtzehnjähriger oft an diesem Tunnel vorbei. Er hatte fünf Kinder mit dieser Verlobten, heiratete jedoch nie. Fünf weitere Kinder bekam die Frau von einem anderen, nachdem sie Zenon verlassen hatte. Von Stund an lebte er mit einer Freundin.
„Es war in einer Zeit, in der es für uns noch kein Geld gab. Wir Kinder sammelten wilde Kartoffeln und tauschten sie gegen Gemüse ein, deshalb führte unser Weg häufig am Tunnel vorbei. Ich bin nicht nur als Kind und als Jugendlicher am Tunneleingang vorbeigegangen, sondern begleitete als Erwachsener regelmäßig meinen Vater, der fünfundneunzig wurde. Es war in den dreißiger, vierziger Jahren, lange vor dem Bau der Straße, als wir gewöhnlich mit Mauleseln, Pferden und Eseln am Berg vorbeizogen. Zweihundert Meter vom Tunneleingang steht ein altes Lehmhaus, in dem wir übernachteten. Sehen Sie es? Es steht heute noch da“, sagt er und zeigt auf ein Lehmhaus auf der gegenüberliegenden Flußseite. Es ist von Feldern umgeben. Übernachteten sie im Lehmhaus, deckte sein Vater ihm jedes Mal das Gesicht mit einer Decke zu. Zenon war schlau genug, die Augen offen zu halten und unter der Decke hervorzulugen, um zu sehen, was er nicht sehen durfte…
Antiker Tunnel von San Juan, Perú
…Bei diesem Essen erfahren wir noch durch Pilars Schwiegersohn von einem weiteren Tunneleingang, der sich in San Juan befindet, seinem Heimatdorf, das zwischen Otuzco und dem Pazifik liegt. Ein Jahr später stehen Javier, ich und der Schwiegersohn vor dem Tunnel.
„Vor zehn Jahren rodeten Männer meines Dorfes Bäume und Gestrüpp am Berghang und entdeckten einen extrem alten Tunneleingang, der hinter den Pflanzen versteckt lag.
Einige Männer gingen bis zu einer Schachtverengung hinein. Sie machte ein Weitergehen unmöglich. Ein Schamane, der als Einziger den Tunnel gekannt hatte, verkündete daraufhin im Dorf, bald zu sterben, da nun sein Geheimnis entdeckt sei. Er starb tatsächlich wenige Wochen später“, sagte der Mann….
Antiker Schacht unermeßlicher Tiefe in einer Höhle unbekannter Größe bei Tambamarca, Perú
Die Tunnel faszinierten nicht nur uns. Auch in einem Fernsehbericht wurde ein Tunneleingang im Amazonasgebiet vorgestellt.
„Der Tunnel hat scheinbar kein Ende, so lang ist er“, berichtete ein Einheimischer. Tunnel und Schächte gibt es zuhauf in den Anden. Einen Schacht unbekannter Tiefe, der sich in einer riesengroßen Höhle bei Tambamarca, nicht weit von Cajamarca befindet, hatten Javier und ich vor vier Jahren gesehen, als wir unter Führung eines Ortsansässigen in die Höhle gegangen waren.
„Die Höhle ist von unermesslicher Größe und wurde nie erforscht. Wir Einheimischen wissen nur, daß sie von unvorstellbarer Größe ist“, sagte der Mann, während er vor einem quadratischen Felsenschacht in der Wand stand, der steil in die Tiefe führte. „Einer von uns ließ einmal ein Hanfseil hinunter. Obwohl das Seil kilometerlang war, reichte seine Länge nicht bis zum Boden. Daraufhin warfen wir Steine hinein. Wir hörten sie nicht einmal aufschlagen. Niemand vermag zu sagen, von wem und zu welchem Zweck der Schacht je angelegt wurde“, erzählte er.
Antiker Tunnel in Marcahuasi, Perú
Einer der wenigen Forscher, der sich der Erforschung der Andentunnel zuwenden wollte, war der peruanische Anthropologe Daniel Ruzo, der den geheimnisumwitterten Ort Marcahuasi erkundete. Marcahuasi wurde wegen seiner versteinerten Riesen in viertausend Meter Höhe berühmt. Nach zwanzig Forscherjahren kam Ruzo zu dem Ergebnis, daß die Steinriesen von Menschenhand gemacht wären, die allerdings wegen ihres unglaublichen Alters so stark erodiert wären, daß sie „natürlich“ aussähen. Bei seiner Arbeit stieß der Experte auf einen Tunnel, von dem die Anwohner ein ähnlich rätselhaftes Verschwinden vieler Menschen berichteten, wie sie von den anderen Tunneln bekannt waren. Er schrieb den Tunneleingang von Marcahuasi einem unterirdischen Tunnelsystem in den Anden zu. Kaum stellte er einen Forschungsantrag bei der Regierung, versiegelten sie, durch Ruzos Antrag erst auf den Tunnel aufmerksam gemacht, den Eingang. Das veranlaßte den Forscher, der den Tunnel leider nur kurz betreten hatte, seine Forschungsarbeiten aufzugeben. Severiano Olivares, der ehemalige Kollege Ruzos, begleitete mich einmal als Bergführer. Er zeigte mir den Tunnel. Er war von schweren Eisengittern versperrt und schien dem zweiten, größeren Tunnelsystem anzugehören.
Schon mit achtzehn war mir in Ostberlin einmal ein Artikel der Zeitschrift „Bild der Wissenschaft“ in die Hände gefallen, in dem von gigantischen Tunneln die Rede war, die sich über Peru, Kolumbien, Argentinien und Chile durch die Anden zögen. Anfang der siebziger Jahre herrschte Nachrichtensperre bezüglich der Tunnel. Die ostdeutschen Kommunisten hielten sich nicht an das Verbot. Das Besondere am Tunnel, von dem der Artikel berichtete, war seine Erforschung, denn er war zu damaliger Zeit einer der ganz wenigen, die von Höhlenforschern mit moderner Technik erkundet waren. Der Eingang liegt im Berg Huascaran, in dem mehrstöckige Höhlen existieren. Die Forscher stießen auf eine Monolithbauweise mit wuchtigen Felsplatten, die als Türen fungierten. Trotz ihres ungeheuren Gewichtes – acht Meter hoch, fünf Meter breit und zweieinhalb Meter dick – ließen sie sich auf Steinkugeln bewegen, die sich in einem Wassertropfbett drehten, sobald sich vier kräftige Männer dagegenstemmten. Dieser Eingang befand sich auf einem Berghang, zweiundsechzig Meter unter der Erde. „Hinter den „sechs Türen“ beginnen mächtige Tunnelbauten, die, teils mit einem Gefälle von vierzehn Prozent, schräg unterirdisch der Küste entgegen verlaufen. Der Boden ist mit genarbten und quer geriffelten Steinplatten ausgelegt und rutschsicher. Dieser neunzig bis einhundertfünf Kilometer lange Tunnel endet schließlich auf einem Niveau von fünfundzwanzig Metern unter dem Meeresspiegel. Am Ende der unterirdischen Gänge von Guanape lauert der Pazifische Ozean. Nachdem die Gänge in tiefer Bergfinsternis mehrmals empor- und hinabführten, drang ein Rauschen und eine merkwürdig hohl klingende Brandung ins Ohr. Im Licht der Scheinwerfer endete das nächste Gefälle an Rande einer pechschwarzen Flut, die als Meerwasser identifiziert wurde“, schrieben die Höhlenforscher. Inzwischen versuchten neue Höhlenforscher, von diesem Ende aus in den Tunnel zu gelangen, was ihnen zunächst nur tauchend gelang. Der Tunnel zeigte mehrere Verengungen, die nicht mehr zu passieren waren. Eines der größten Erdbeben in der Geschichte Perus hatte in den siebziger Jahren diese Gegend verwüstet.