Der große und der kleine Schritt 1984-1990
“…Die Fotos der Serie »Der große und der kleine Schritt« haben symbolischen Charakter. Es sind Analogien für etwas Erstarrtes, das sich auflöst. Unsichtbar schwingt der erstarrte Geist mit. Durch Zubunkern ist er zur Unbeweglichkeit verurteilt und führt zum Tod. Tod und Wiedergeburt als ewige Zyklen der Erneuerung. Wir zerstören uns, um wie Phönix aus der Asche neu zu entstehen … Fleisch steht im Mittelpunkt der Serie und seine Abgründe. Der Mensch als verletzter, geschundener, geschlagener Mensch.. Die Verletzung ist allerorten. Die Frau mit der Zangengeburt gleicht den Tieren im Schlachthof. Sie gleicht einer modernen Kreuzigungsszene. Ebenso das Baby im Röntgensaal… Das existentielle Erleben von symptomatischen Situationen des Lebens macht den Charakter der Serie »Der große und der kleine Schritt« aus. In existentiellen Situationen macht jeder Einzelne durch, was er im tieferen Sinn eigentlich ist. In diesen Momenten ist der Mensch mit sich allein. Er ist allein bei der Operation. er ist allein bei der Geburt. er ist allein beim Tod. Niemand geht mit ihm. Er muss diese Wege allein gehen. Er würde dem Irrsinn verfallen, wäre da nicht ein Ausweg, eine Rettung. Es ist der Weg ins eigene Ich, der Weg zu sich selbst. Der Weg dahin ist bei jedem anders.”
Diese Serie wurde 1992 im MOMA ausgestellt – im Rahmen der Ausstellung „new photography 8“ und ich bekam den Photopreis: »The 12th Prize for Overseas Photographers of Higashikawa Photo Fiesta ’96«, Japan, für diese Serie.
Ihre Photographien schaue ich lange an und habe dabei ein kostbares Glücksgefühl verspürt, das mich an Ihre Photographien als an einen strahlenden Schatz denken lässt. Wissen Sie: ich habe die Sicherheit dabei, dass diese Photographien von absoluter Meisterschaft sind. Als Kunstkritiker und Freund von jungen Menschen lasse ich mich von vielem persönlich beeindrucken und bin mir über die Qualität doch nicht sicher. Aber bei Ihnen ist es ganz anders…Vom Gesicht der Photographin mit Harnisch im Spiegel will ich gleich sagen, wie dankbar ich bin, es zu sehen… Beim Betrachten dieses mehrfach in sich gerahmten Bildes und dem, auf die Spiegel projizierten, Raum, muss ich an ein Gemälde von Adam Elsheimer in der Staatlichen Kunstsammlung in Dresden denken „Jupiter und Merkur besuchen Philemon und Baucis“ – zwischen 1605 und 1610 gemalt, ein kleines Bildchen auf Kupfer, das ich einmal in einer Leihausstellung in Zürich im Original gesehen habe und nun seit vier Wochen meinen Studenten im Diapositiv immer wieder zeige, weil ich von diesem Werk in plötzlicher Einsicht begriffen habe, was absolute Qualität von Malerei ist. Diese Qualität haben Sie in Ihrer Arbeit.
Prof. Reinhold Hohl, Konservator der Grafischen Sammlung ETH Zürich, in einem Brief an Gundula Schulze Eldowy, 29. November 1989
„Bis heute weiß niemand, was die menschliche Natur wirklich ist.“ (Octavio Paz)
GUNDULA SCHULZE ELDOWY SCHATTENWINDE
BERLIN UND DER OSTEN 1979 – 1990
1. September bis 19. November 2023
FOTO ARSENAL WIEN präsentiert in einer ersten umfangreichen Einzelaussstellung in Österreich die ostdeutsche Künstlerin Gundula Schulze Eldowy (*1954). Ihre harten, zivilisationskritischen Bilder, die zwischen 1977 und 1990 überwiegend in Ost-Berlin, Dresden und Leipzig entstanden, gehen häufig an die Grenzen des Erträglichen.
Peter Truschner / Arsenal Wien / Eröffnungsrede zu SCHATTENWINDE von GUNDULA SCHULZE ELDOWY 31.8.2023 / Maria Gaenssler
01. September 2023- 19. November 2023
Gundula Schulze Eldowy.
Schattenwinde
Im betäubenden Geschrei der Feindbilder
01.10.2021. “Ich drang in die Eingeweide der Stadt vor und fotografierte sie,” sagt sie selbst. Gundula SchulzeEldowy ist die künstlerisch bedeutendste Fotografin (m/w/d) der ehemaligen DDR und eine der bedeutendsten Fotografinnen nach 1945 überhaupt. Einige Bilder würde man auf den ersten Blick eher in derZwischenkriegszeit ansiedeln, in der Nähe von Döblins “Berlin Alexanderplatz”, nicht in der propagandistischenUtopie des realen Sozialismus der siebziger und achtziger Jahre. Unverständlich, warum sich die Kuratorennicht um sie reißen.
"Gundula Schulze Eldowy, Voyage Dans La DDR en Ddèlire à Berlin", (2012), IDEOZ VOYAGES.
Kritik zur Ausstellung „DIE FRÜHEN JAHRE“, Foundation C/O Berlin 2011,12
2009 Los Angeles: «THE TWO GERMANYS AFTER THE WAR», County Museum of Contemporary Art
2009 Berlin: Deutsches Historisches Museum, «KUNST UND KALTER KRIEG»
Higashikawa Foto-Fiesta, Japan 1996
Kunst-Werke Berlin
10. Juni bis 2. August 1992
Die Ausstellung “Getrennte Welten” zeigte 1992 in den Kunst-Werken Berlin Fotos der amerikanischen Fotografin Nan Goldin und der in der DDR aufgewachsenen Fotografin Gundula Schulze. Sie wurde im Rahmen der Veranstaltungsreihe Mauer im Kopf durch die Kooperation der STIFTUNG NEUE KULTUR und der Kunst-Werke Berlin realisiert. Trotz erkennbarer Unterschiede in den verschiedenen Werkgruppen ist beiden Fotografinnen gemeinsam, dass sie intime Szenen und konkrete Seiten der Einsamkeit des Menschen schonungslos zeigen.
„Gänzlich entnervt durch Klaus Biesenbachs fast substanzlose Staatsaktion „37 Räume“ hätte ich die in seinen „Kunst-Werken“parallellaufende fotografische Ausstellung „Getrennte Welten“ mit Gundula Schulze Eldowy und Nan Goldin fast ausgelassen, gänzlich zu Unrecht, es ist vielleicht die Ausstellung des Sommers. In der Sammlung Domröses vermisst, hier ist es zu sehen, die phantastische Fotografie Gundula Schulze Eldowys von einer Geburt; „Fleischwerdung“, möchte man sagen, Dresden 1987. Schulze Eldowy hat sich mit der in der DDR so beliebten Milieufotografie nicht weiter aufhalten mögen und ist hurtig fortgeschritten zum großen Thema des Fleisches (Pontormo, Bacon…), in dem Menschen und Tiere zusammenfinden, in den Ähnlichkeiten der „Vorgänge“, wie es jetzt wohl heißt.“ Der Tagesspiegel, 1992, Ulf Erdmann Ziegler
MOMA "Photography 8"
Gundula Schulze and Toshio Shibata each explore a distinct cultural sensibility, together suggesting the flexibility of photography’s descriptive vocabulary.
MOMA "Photography 8"
The New York Times Charles Hagen 1992
„Ms. Schulze Eldowy, an important young photographer in what was East Germany, offers excerpts from a series of color photographs about life in Leipzig. Working in a style that recalls that of Lee Friedlander, with its formal disjunctions and absurd juxtapositions, she dispicts a raucous Grand Guignol played out in locations that range from a costume ball to a bloody slaughterhouse“.
Frau Schulze Eldowy, eine wichtige junge Fotografin aus der DDR, zeigt Auszüge aus einer Farbserie über den Alltag in Leipzig. Durch formelle Brüche und absurde Gegenüberstellungen erinnert ihr fotografischer Stil an den von Lee Freedlander. Sie zeigt ein wildes ‘Grand Guignol’ (eine Art von makaberer Horrorshow) – dem sie auf einem Kostümball und auch in einer blutigen Schlachterei begegnet.
(Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/Grand_Guignol)